Lebersche hereditäre Optikusneuropathie (LHON)

Lebersche hereditäre Optikusneuropathie (LHON)

Kategorien: Syndrome & AugenerkrankungenVeröffentlicht am: 14. Juni 2019Von 10,1 min LesezeitAktualisiert: 10. Januar 2024

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Inhaltsverzeichnis

Lebersche-hereditaere-Optikusneuropathie-Untersuchung

Hintergründe der seltenen Erbkrankheit (LHON)

Bei der Leberschen hereditären Optikusatrophie, kurz LHON genannt, handelt es sich um eine neurodegenerative Erbkrankheit der im Sehnerv befindlichen Ganglienzellen, die zu den sogenannten Mitrochondriopathien gerechnet werden. Sie führt zu einer Funktionsstörung des Sehnervs.

Diese beschreiben Erkrankungen, die auf eine Schädigung oder eine fehlerhafte Funktion der Mitochondrien, sprich von einer Doppelmembran umschlossenen Zellorganellen zurückzuführen sind.

Männer sind meist öfter betroffen. innerhalb weniger Wochen kommt es zu einer schmerzlosen und zunächst einseitigen Visusveränderung.

Gleichwohl es sich bei der LHON um eine sehr selten auftretende Erkrankung handelt, verdient allein die Tatsache, dass sie häufig von einem schweren Verlauf mit drohendem Sehverlust gekennzeichnet ist, eine etwas eingehendere Abhandlung.

Die Lebersche hereditäre Optikusneuropathie: Begriffsklärung als Einstieg

Die Lebersche hereditäre Optikusneuropathie zu englisch: leber hereditary optic neuropathy, wurde nach dem deutschen Ophthalmologen Theodor von Leber (1840-1917) benannt, der das Krankheitsbild als Erster beschrieb. 

Weitere Bezeichnungen für die Erbkrankheit sind unter anderem Lebersche hereditäre Optikusatrophie sowie Lebersche hereditäre Optikusnekrose.

Nicht verwechselt werden darf die Lebersche hereditäre Optikusneuropathie mit der sogenannten Leberschen kongenitalen Amaurose, kurz LCA, bei der es sich um eine angeborene Störung des Pigmentepithels der Retina (Netzhaut) handelt.

Darüber hinaus geht dieses Krankheitsbild mit einer langsamen Degeneration der Aderhaut einher.

Angaben zur Epidemiologie und Ätiologie (Verbreitung und ursächliche Zusammenhänge einer LHON)

Wie bereits angesprochen gehört die Lebersche hereditäre Optikusneuropathie in die Kategorie der Erbkrankheiten, die durch eine Punktmutation der mitochondrialen DNA hervorgerufen wird.

Bei diesem Phänomen handelt es sich um eine Genmutation, bei dem es zum Austausch oder Ersatz eines Nukleotids der DNA (chemische Grundbausteine der RNA und DNA) kommt.

Denkbar ist ausserdem die Ergänzung um ein Nukleotid. Die Vererbung erfolgt ausschliesslich mütterlicherseits. Charakteristisch ist, dass die Mutter als Überträgerin keinerlei Symptome aufweist.

Zur besonderen Risikogruppe zählen Männer zwischen dem 15. und 35. Lebensjahr. Bei den Angaben zur Prävalenz (Häufigkeit des Auftretens) scheiden sich die Geister. So ist in einigen Quellen von 1 : 50.000, in anderen von 1 : 100.000 die Rede.

Entstehung der Leberschen hereditären Optikusneuropathie (Pathogenese)

Antworten auf die Frage zu den Verursachern einer Leberschen hereditären Optikusneuropathie werden sowohl in der Genetik als auch in Umweltfaktoren gesucht. Was es damit genau auf sich hat, soll in den beiden folgenden Abschnitten etwas genauer beleuchtet werden.

Genetik

Dass in erster Linie Punktmutationen der mitrochondialen DNA, kurz mtDNA, für die Entstehung einer LHON verantwortlich sind, wurde bereits grob angerissen. Konkret handelt es sich dabei um 9 Sekundärmutationen und 5 Primärmutationen. 

Obwohl die genauen Hintergründe für die Entwicklung dieser Mutationen noch unbekannt sind, wird eine Exposition der mitrochondialen DNA gegenüber ROS (reaktive Sauerstoffspezies) vermutet.

Als Hauptursache für die Lebersche hereditäre Optikusneuropathie wird ein Defekt im Komplex 1 angesehen, der wiederum auf Punktmutationen der Positionen 14484, 11778 und 3460 zurückgeführt wird. 

Das Ergebnis ist eine Schwäche bzw. ein Funktionsverlust in der Atmungskette und ein daraus resultierender primärer zellulärer Energiemangel (ATP-Mangel) gefolgt von einem fortschreitenden Verfall des betroffenen Gewebes.

Entsprechend spricht man in der medizinischen Fachsprache hier von einer degenerativen Erkrankung. 

Obwohl die Mutationen in einem Grossteil der Fälle in ausnahmslos allen mtDNA-Molekülen der Zelle vertreten sind, ist die Wahrscheinlichkeit, mit der diese zu dem Ausbruch einer Erkrankung führen, vergleichsweise gering. 

Bei betroffenen Frauen liegt das Risiko einer LHON zwischen 10 und 15 Prozent, bei Männern bei etwa 50 Prozent.

Der Einfluss von Umweltfaktoren auf die Erkrankung

Aufgrund unzureichender Studien und der Schwierigkeit, in diesem Bereich Proben als Nachweis zu erbringen, gibt es in dieser Kategorie noch keine eindeutigen wissenschaftlich fundierten Ergebnisse. 

Jedoch wird eine nicht unerhebliche Beteiligung von Umweltfaktoren an der Entstehung und dem Verlauf der LHON vermutet.

Essentielles zu Symptomatik und Entwicklung

Zu Beginn der Erkrankung ist in der Regel nur ein Auge betroffen. Jedoch kommt es in den meisten Fällen mit fortschreitendem Krankheitsverlauf auch zu einer Beeinträchtigung des bis dato gesunden Auges. 

Zentrale Gesichtsfeldausfälle, in der medizinischen Fachsprache auch unter dem Begriff Skotom bekannt, führen zu einer Minderung der Sehschärfe. 

Geht es um die Farben Grün und Rot, so lässt sich zudem eine diesbezügliche reduzierte Wahrnehmungsfähigkeit feststellen. 

Für diese Symptomatik, die im Endstadium der Erkrankung unweigerlich zur Erblindung führt, ist die bereits beschriebene fortschreitende Degeneration der Sehnervfasern verantwortlich zu machen. Weitere mögliche Krankheitszeichen sind kardiologischer und neurologischer Natur.

In Bezug auf den Verlauf sind verschiedene Szenarien denkbar. So kann sich die kontinuierliche Verschlechterung der Sehschärfe über eine Zeitspanne von maximal zwei Jahren erstrecken. Als Gegenstück ist jedoch auch ein plötzlicher vollständiger Visusverlust zu Beginn der Krankheit möglich.

Für die Lebersche hereditäre Optikusneuropathie charakteristische klinische Zeichen

Die vier Stadien der LHON

Grundsätzlich unterscheidet man in der Medizin zwischen vier Stadien der Leberschen hereditären Optikusneuropathie.

  • In der asymptomatischen Phase, befindet sich der Mutationsträger noch vor dem Ausbruch. Betroffene werden in diesem Anfangsstadium bereits geringfügige Änderungen des zentralen Gesichtsfeldes sowie eine Einschränkung bei der Fähigkeit zur Farbdifferenzierung entlang der rot-grünen Achse feststellen.
  • Die subakute bzw. akute Phase ist von einer schrittweisen Visus-Minderung geprägt und erstreckt sich über mehrere Wochen bis maximal 6 Monate. Neben einer zunehmenden Beeinträchtigung des Farbensehens ist für dieses Stadium die Existenz eines Zentralskotoms charakteristisch.
  • Zwischen dem 6. und 12. Monat kommt es zu einer Stabilisierung des Visus. Vor allem in Bezug auf klinische Messungen ist diese dynamische Phase jedoch von Schwankungen geprägt.
  • Von einem chronischen Stadium der LHON spricht man nach Ablauf von etwa einem Jahr. Dieses geht in der Regel ohne weitere Verluste des Sehvermögens einher. Jedoch können sich infolge der RGZ-Apoptose irreversible Schäden einstellen.

Ergänzende Angaben zum klinischen Verlauf

Im akuten Stadium ist bei einer Begutachtung des Augenhintergrundes eine abgeblasste Papille erkennbar. 

Da es sich hierbei jedoch um ein Phänomen handelt, das auch andere Krankheitsbilder begleitet, kann dem Risiko einer fatalen Verwechslung nur mittels weiterer Untersuchungen aus dem Weg gegangen werden.

Geschlängelte Gefässe, Hyperämie (verstärkte Durchblutung der betroffenen Gewebe), peripapilläre Teleangiektasien sowie eine Erweiterung der kleinen Arterien (Arteriolen) sind klinische Zeichen, die sich mit fortschreitender Krankheit einstellen. 

Darüber hinaus lässt sich eine Rot-Grün-Sehschwäche (Rot-Grün-Dyschromatopsie) feststellen. Auch Sekundärveränderungen im Lateralen Kniehöcker (Corpus geniculatum opticum) sowie der Sehbahn (Tractus Opticus) sind keine Seltenheit.

In einem Grossteil der Fälle verläuft die Lebersche hereditäre Optikusneuropathie schrittweise über einen Zeitraum von mehreren Wochen und bleibt im Anschluss stabil. 

Jedoch kann es auch innerhalb weniger Jahre zu einer kontinuierlichen Vergrösserung des Zentralskotoms mit daraus resultierender stärkerer Blindheit kommen. 

Leber ‹plus› ist die Bezeichnung für Verläufe, die um neurologische Krankheitszeichen wie motorische Störungen, zerebelläre Ataxie und Haltungstremor ergänzt werden.

Diagnostik: Was Sie bei einem Augenarztbesuch erwartet

Diesem Absatz ist vorauszuschicken, dass Sie bei Auftreten der oben aufgeführten Symptome oder anderer Augenprobleme nicht auf die regelmässige Kontrolluntersuchung warten, sondern umgehend einen Augenarzt aufsuchen sollten.

Oftmals genügt bereits das einleitende Gespräch, um einem erfahrenen Ophthalmologen die entscheidenden Anhaltspunkte für infrage kommende Krankheitsbilder zu liefern. Absolute Gewissheit lässt sich jedoch nur mittels einschlägiger Untersuchungen und Tests erlangen.

An erster Stelle ist hier die Fundoskopie zu nennen, die der sorgfältigen Untersuchung des Augenhintergrundes und der Stellung der Diagnose dient.

Lassen sich dabei bereits einige der oben aufgeführten klinischen Zeichen wie Arterienerweiterungen, eine abgeblasste Papille und/oder peripapilläre Teleangiektasien feststellen, so deutet alles auf eine Lebersche hereditäre Optikusneuropathie hin.

Die Perimetrie wiederum beschreibt ein Verfahren, das der Vermessung des Gesichtsfeldes dient. Mittels der sogenannten Fluoreszein-Angiographie wiederum lässt sich ein Pseudo-Papillenödem nachweisen.

Der Test für Farbensehen gibt Aufschluss über das Vorliegen einer Rot-Grün-Dyschromatopsie.

Ein EKG (Elektrokardiogramm) dient dazu, Herzrhythmusstörungen auszuschliessen. Bei entsprechender Symptomatik können weitere kardiale Untersuchungen sinnvoll sein. Dazu zählt beispielsweise eine sogenannte EPU, sprich eine elektrophysiologische Untersuchung des Herzens.

Darüber hinaus werden genetische Tests durchgeführt, die eine Analyse der 3 genannten Mutationen T14484C3, G3460A sowie G11778A umfassen. 

Bei negativem Ergebnis kann das sogenannte Next Generation Sequencing Informationen über das eventuelle Vorliegen seltener mtDNA Mutationen liefern. Dabei handelt es sich um ein modernes Verfahren, das eine raschere Sequenzierung ermöglicht.

Im Rahmen der Differentialdiagnose wiederum geht es um die Abgrenzung der LHON von anderen, in Symptomatik und Verlauf ähnlichen Krankheitsbildern. 

Beispiele sind die sogenannte Neuromyelitis optica, kurz NMO genannt, das Hagemoser-Weinstein-Bresnick-Syndrom, das Rosenberg-Chutorian-Syndrom sowie die Optikushypoplasie.

Wissenswertes zur Therapie mit Fokus auf den Wirkstoff Idebenon

Als genetisch bedingte Krankheit ist eine ursächliche bzw. kausale Therapie der Leberschen hereditären Optikusneuropathie nicht möglich.

Bis dato wurden den Betroffenen zur Linderung der Beschwerden Sehhilfen verschrieben.

Studien und Erfahrungsberichten zufolge versprechen unterschiedliche Substanzen eine Optimierung der Sehschärfe. Vor allem mit dem Wirkstoff Idebenon zeichnet sich ein Hoffnungsschimmer am Horizont der Betroffenen ab.

Exkurs Idebenon: die wichtigsten Fakten

Im europäischen Raum wurde das Medikament des Herstellers Santhera Pharmaceuticals, das besser unter dem Handelsnamen Raxone bekannt ist, im Jahre 2015 zugelassen. 

Zum Einsatz kommt es bei Jugendlichen ab dem 12 Lebensjahr und Erwachsenen, die unter durch die Lebersche hereditäre Optikusneuropathie verursachten Sehstörungen leiden. Behandlungserfolge zeigen sich im Idealfall nach etwa einem Jahr in Form einer Verbesserung des Sehvermögens.

Die Wirkweise von Idebenon erklärt sich anhand der Wiederherstellung der mitochondrialen Funktion in den Ganglienzellen der Netzhaut (Retina). Dies geschieht auf zwei Wegen. 

Zum einen wird durch das Umgehen des von der Störung betroffenen Komplexes 1 der mitochondrialen Atmungskette eine Wiederherstellung der zellulären ATP-Bildung erreicht. 

Zum anderen hemmt Idebenon als starkes Antioxidans die ROS-Aktivität bei gleichzeitiger Reaktivierung inaktiver, aber lebensfähiger RGZ. Damit setzt die Substanz Prozesse in Gang, die die Wiederherstellung der Sehkraft unterstützen können.

Raxone wird in der Regel in Form von Filmtabletten verschrieben. Für den Behandlungserfolg ist eine regelmässige Kontrolle durch einen in der Therapie der LHON erfahrenen Arzt unverzichtbar.

Die empfohlene Tagesdosis liegt bei 900 Milligramm Idebenon. Die Einnahme erfolgt in drei Dosen zu jeweils 300 Gramm. In diesem Zusammenhang ist es ganz wichtig, darauf zu achten, dass die Filmtabletten im Ganzen und keinesfalls zerteilt geschluckt werden sollten.

Zu den möglichen Nebenwirkungen von Idebenon zählen Husten, Durchfall und Rückenschmerzen.

Hinweis: Die Einnahme von Antibiotika sowie der Konsum von Tabak und Alkohol sollte vermieden werden, da diese den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen können. Vergleichbares gilt für Lebensmittel, die Blausäure enthalten. Beispiele sind Bittermandeln, Nüsse und Kohl.

Die Prognose: einflussnehmende Faktoren im Diskurs

In Bezug auf den Ausgang der Erbkrankheit ist bei jüngeren Patienten ein günstigerer Verlauf zu erwarten. Abgesehen von dem Alter spielt auch die zugrundeliegende Mutation eine wesentliche Rolle bei der Prognose. 

Bis dato zählen Betroffene mit MT-ND6-Mutationen zu der Personengruppe mit der grössten Chance auf einen positiven Krankheitsverlauf und eine weitestgehende Gesundung. 

Im Falle einer Nukleotid 14484-Mutation zeigen sich bei einigen Betroffenen nach rund 1 bis 2 Jahren plötzliche Heilungserfolge. Zur Erblindung kommt es bei rund 89 bis 90 Prozent der weiblichen und bei etwa 30 bis 50 Prozent der männlichen Mutationsträger.

Spricht man von einem positiven Ausgang der Erbkrankheit, so bezieht sich dies in erster Linie auf eine Optimierung der Sehschärfe, zumal sich eine Verbesserung des Gesichtsfeldes in der Regel nicht erreichen lässt.

Ein Wort zum Schluss

Zusammenfassend ist hier festzuhalten, dass es sich bei der LHON um eine Krankheit handelt, die bei schwerem Verlauf zum Sehverlust bei Patienten führen kann. Da diese vererbt wird, gestaltet sich eine kausale Behandlung als schwierig.

Erfolge bei der Behandlung verspricht vor allem Idebenon als erstes, im europäischen Raum für die LHON-Therapie zugelassenes Medikament, das nachweislich zu einer Stabilisierung bzw. Verbesserung des Sehvermögens beitragen kann. In der Regel überzeugt Idebenon aufgrund seiner sehr guten Verträglichkeit. In seltenen Fällen können jedoch Nebenwirkungen wie Rückenschmerzen, Durchfall, Nasopharyngitis und/oder Erkältung auftreten.

Quellen

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