Myopiekontrolle – Kurzsichtigkeit bei Kindern vorbeugen

Myopiekontrolle – Kurzsichtigkeit bei Kindern vorbeugen

Kategorien: SehproblemeVeröffentlicht am: 2. Juli 2021Von 8,4 min LesezeitAktualisiert: 2. Juli 2021

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Inhaltsverzeichnis

Myopiekontrolle

Eine der häufigsten Fehlsichtigkeiten weltweit neben der Weitsichtigkeit ist die progressive Myopie, die fortschreitende Kurzsichtigkeit. Einer Studie zufolge soll davon im Jahr 2050 etwa die Hälfte der gesamten Weltbevölkerung betroffen sein. Im Zeitalter von Smartphones und Tablets ist Kurzsichtigkeit eine immer stärker werdende Begleiterscheinung mit steigender Tendenz. Vor allem junge Menschen sind kurzsichtig. Mithilfe von einem Sehtest wird die Erkrankung diagnostiziert und in Dioptrien (dpt) gemessen. Die Ausprägung der Erkrankung steigt dabei mit der Anzahl der Fälle. Ein guter Grund, vor allem bei Kindern präventiv entgegenzuwirken. Heute gibt es mehrere Methoden, mit denen die Verschlechterung der Kurzsichtigkeit verringert werden kann.

Was ist die Myopie?

Bei der Myopie – besser bekannt als Kurzsichtigkeit – handelt es sich um eine Fehlsichtigkeit des Auges. Das Auge hat in der Regel einen längeren Augapfel und die Brechkraft von Hornhaut oder Linse ist zu groß. Dabei werden die Lichtstrahlen nicht mehr genau auf der Netzhaut gebündelt und der Brennpunkt liegt im Auge vor der Netzhaut, wodurch beim Blick in die Ferne das Bild unscharf wird. Bei einem normalsichtigen Auge werden die Lichtstrahlen genau auf der Netzhaut abgebildet.

Ein zu langer Augapfel ist häufig Ursache für eine Myopie. Woran dieses Wachstum jedoch liegt, ist bislang noch nicht abschliessend geklärt. Die Wissenschaft geht davon aus, dass Vererbung, Bildungsgrad, Lichtexposition, Akkommodation des Auges sowie ein refraktiver Defokus in der Peripherie der Netzhaut sich auf das Wachstum der Augenlänge auswirken und so zu Kurzsichtigkeit führen.

Mögliche Folgeerkrankungen einer Myopie

Mit der Höhe der Myopie steigt auch das Risiko von Folgeerkrankungen. Die folgende Übersicht zeigt, wie hoch das Risiko in Abhängigkeit der Myopie ist:

Erkrankung-1.00 bis -3.00 dpt-3.00 bis -5.00 dpt-5.00 bis -7.00 dptmehr als -7.00 dpt
Glaukom2,3fach3,3fach3,3fach
Katarakt2,1fach3,1fach5,5fach
Netzhautablösung3,1fach9,0fach21,5fach44,2fach
Makuladegeneration2,2fach9,7fach40,6fach126,8fach

Wann sollte Kurzsichtigkeit behandelt werden?

Ist die Kurzsichtigkeit nur gering ausgeprägt, dann ist dies unbedenklich und kann mit Sehhilfen gut ausgeglichen werden.

Bei starker Ausprägung, die schon früh in der Kindheit eintritt, ist eine Myopiekontrolle das Mittel der Wahl. Wird diese nicht durchgeführt, bleibt auch nach einer Laserbehandlung oder Operation der Kurzsichtigkeit ein erhöhtes Risiko für weitere Augenerkrankungen bestehen.

Kurzsichtigkeit bei Kindern immer häufiger

Bei Kurzsichtigkeit handelt es sich um eine „optische Abweichung“, die eigentlich ungefährlich ist. Tritt diese jedoch bereits bei Kindern unter zwölf Jahren auf, dann steigt das Risiko für die Entwicklung einer sogenannten hohen Myopie (mehr als -6.00 Dioptrien). Die Risiken, die mit einer hohen Myopie einhergehen, sollten Forschern zufolge nicht unterschätzt werden. Je stärker die Kurzsichtigkeit ausgeprägt ist, umso mehr steigt auch die Wahrscheinlichkeit für weitere Erkrankungen der Augen. So ist bei einem Betroffenen mit einer Myopie zwischen -5.00 und -7.00 dpt das Risiko für irreversible Schädigungen des Sehvermögens (z. B. Reduzierung der Sehschärfe, Ablösung der Netzhaut) um das zwanzigfache erhöht.

Dieses Risiko sollte deshalb so früh wie möglich erkannt werden, denn nur so kann die Myopie mithilfe von Brillengläsern oder anderen Methoden verlangsamt oder gar gestoppt werden. Bestimmte Faktoren stellen für die Entstehung einer Myopie ein besonderes Risiko dar. Dazu gehören:

  1. Vererbung: Sofern bereits Eltern oder ältere Geschwister unter Myopie leiden, ist das Risiko für ein Neugeborenes erhöht. Von Bedeutung ist weiterhin die Frage, ob andere Familienmitglieder bereits von einer Netzhautablösung betroffen sind.
  2. Abstammung: Menschen asiatischer Abstammung haben ein deutlich erhöhtes Risiko, eine Kurzsichtigkeit zu entwickeln. So sind bereits etwa 80 Prozent der asiatischen Bevölkerung kurzsichtig, in Europa sind es etwa 50 Prozent aller jungen Menschen.

Lebensumstände: Halten sich Kinder bei Tageslicht eher selten im Freien auf und verbringen stattdessen mehr Zeit vor Smartphone oder Tablet, entwickelt sich deutlich schneller eine Myopie.

Gehört ein Kind einer dieser Risikogruppen an, dann sollten im Rahmen der Myopiekontrolle regelmässige Untersuchungen bei einem Spezialisten erfolgen. Dieser kann ein Fortschreiten der Kurzsichtigkeit feststellen und geeignete Gegenmassnahmen einleiten.

Eltern mit Kurzsichtigkeit sollten besonders wachsam sein

Häufig entwickelt sich eine Kurzsichtigkeit im Alter von sechs bis 13 Jahren. Sobald ein Elternteil kurzsichtig ist, ist das Risiko für das Kind um das Dreifache erhöht. Leiden beide Eltern unter Kurzsichtigkeit, dann verdoppelt sich das Risiko. Deshalb sollten Eltern frühzeitig eine Untersuchung durchführen lassen. Sofern die Befunde nicht dagegen sprechen, sollte mit einer der Myopiekontrolle schnellstmöglich begonnen werden.

Wie lässt sich ein Fortschreiten der Myopie bremsen?

Eine 100prozentige Chance, die Kurzsichtigkeit aufzuhalten oder sogar umzukehren, gibt es bislang nicht. Die Brechkraft kann aber zumindest durch das Tragen von Hilfsmitteln wie Brillen oder Kontaktlinsen korrigiert werden und die Myopie mit speziellen Kontaktlinsen oder auch mit atropinhaltigen Augentropfen (0,01 Prozent) gebremst und selten auch gestoppt werden. Die Brillengläser streuen die Lichtstrahlen, sodass sie erst auf der Netzhaut zu einem scharfen Bild zusammenlaufen. Dennoch gibt es mehrere Möglichkeiten, das Voranschreiten der Kurzsichtigkeit zu verlangsamen.

1. Orthokeratologische Versorgung (Ortho-K-Linse)

Zur Begrenzung der fortschreitenden Kurzsichtigkeit ist die Anpassung von sogenannten orthokeratologischen Kontaktlinsen (auch als Ortho-K-Linsen bezeichnet) eine wirksame und weltweit genutzte Möglichkeit zur Myopiekontrolle. Allerdings hat die orthokeratologische Versorgung ihre Grenzen und ist somit nicht für alle Korrekturen sowie Hornhautkonditionen geeignet. Durch die speziellen Kontaktlinsen kann die Myopie etwa 32 bis 100 Prozent verlangsamt werden. Bei Ortho-K-Linsen handelt es sich um Nachtlinsen. Mehr Informationen über die Ortho-K-Linsen finden Sie hier.

2. Augentropfen mit Atropin 0.01%

In der Augenheilkunde finden Augentropfen mit Atropin in sehr verschiedenen Situationen Anwendung. In Studien zeigte sich bereits, dass Atropin auch das Voranschreiten einer Myopie verlangsamen kann. Dabei werden zumindest kurzfristig gute Ergebnisse erzielt, bereits sehr geringe Dosierungen haben dabei positive Effekte. Atropinhaltige Augentropfen kann nur der Augenarzt verordnen, die Verlangsamung liegt zwischen 30 und 70 Prozent. Für diesen Zweck benutzen wir Atropin Augentropfen 0.01%. In gewissen Fällen kann die Dosierung erhöht werden.

3. Verwendung von multifokalen, progressiven, weichen Kontaktlinsen

Üblicherweise werden multifokale, progressive, weiche Kontaktlinsen nur zur Korrektur von Nähe und Ferne verwendet. Sind die Sehzonen speziell angeordnet, lässt sich ein ähnlicher Effekt wie mit Ortho-K-Linsen erzielen. Aktuelle Studien zeigen zwar, dass diese Methode nicht so effektiv wie Ortho-K-Linsen ist, dennoch kann die Myopie um etwa 29 bis 45 Prozent verlangsamt werden. Die Kontaktlinsen werden am Tag getragen.

4. Einsatz einer Bifokalbrille mit Konvergenzunterstützung (Gleitsichtbrille Varilux)

Sogenannte bifokale Gläser (oberer Glasbereich für die Ferne, unterer Glasbereich für die Nähe) oder auch progressive Gläser (Varilux Gleitsichtgläser) sind für die Nähe und Ferne unsichtbar verschliffen. In Studien zeigte sich, dass Brillen mit diesen Gläsern eine Kurzsichtigkeit um etwa zwölf bis 55 Prozent verlangsamen können.

5. Tageslinsen (Misight und weiche Kontaktlinsen)

Die neue Misight Kontaktlinsen (Cooper Vision) und andere weiche Kontaktlinsen, die tagsüber getragen werden müssen, können ebenfalls die Zunahme der Kurzsichtigkeit bremsen. Die Kontaktlinsen müssen von einem erfahrenen Optiker angepasst werden.

Prävention mit Hilfe der Myopiekontrolle

Um präventive Massnahmen ergreifen zu können, ist die Myopiekontrolle bei Vorliegen der bereits genannten Risikofaktoren von grosser Bedeutung. Zeigen sich bei Untersuchungen erste Anzeichen für eine Kurzsichtigkeit, können verschiedene Massnahmen zur Vorbeugung und Verbesserung ergriffen werden.

Förderung des Aufenthalts im Freien bei Tageslicht

Grundsätzlich werden Aktivitäten in der freien Natur sehr viele gesundheitliche Vorteile zugeschrieben. Auch die Augenentwicklung wird davon beeinflusst. Vor allem die wechselnde Fokussierung der Augen auf unterschiedliche Distanzen sowie das Tageslicht haben positive Effekte.

Hinzu kommt, dass es bei Tageslicht in der Netzhaut zur Freisetzung von Dopamin kommt. Dadurch wird das Augenwachstum gesteuert. Weiterhin wird die Netzhaut bei starker Lichtexposition mit blauem Licht dazu angeregt, Dopamin einströmen zu lassen und so die runde Form des Auges zu erhalten.

Ein zu schwaches und eher rotlastiges Licht sorgt für ein Absinken des Dopaminspiegels, wodurch sich das Auge verlängert. Es wird umso mehr Dopamin freigesetzt, je mehr Zeit im Freien verbracht wird. Kinder sollten sich aus diesem Grund mindestens zwei Stunden täglich im Freien aufhalten.

Nahsehmodus reduzieren

Das Leben der Kinder wurde in den letzten Jahren grundsätzlich durch Tablets, Smartphones sowie Notebooks verändert. Inzwischen gehört diese Technik zum täglichen Leben dazu, vor allem in Zeiten des Corona-Lockdowns ist die Nutzung erheblich gestiegen. Das Problem: eine dauernde Akkommodation kann auf lange Sicht das Auge wachsen lassen und so die Kurzsichtigkeit fördern. Kinder sollten diese Geräte deshalb nicht stundenlang täglich nutzen. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang zudem der Abstand der Augen zum Gelesenen. Dieser sollte so gross wie möglich sein.

Myopiemanagement bei Kindern sowie Jugendlichen – so läuft es ab

Ziel des Myopiemanagements ist es, eine beginnende Kurzsichtigkeit bei Kindern und Jugendlichen möglichst effektiv abzubremsen. Unsere Augenärzte beantworten Ihnen bei einem persönlichen Termin alle Fragen rund um das Thema Myopie sowie Myopiekontrolle. Die Augen Ihres Kindes werden vor einer Anpassung von Kontaktlinsen genau untersucht. Im Rahmen des Myopiemanagements werden folgende Untersuchungen sowie Messungen durchgeführt:

  • Messung der erforderlichen Korrektur
  • Vermessung der Oberfläche der Hornhaut
  • Untersuchung des vorderen Abschnitts der Augen
  • Untersuchung der Netzhaut
  • Messung der Länge der Augen

Jährliche Kontrolle sinnvoll

Kinder ab einem Alter von sechs Jahren sollten mindestens einmal im Jahr auf eine mögliche Kurzsichtigkeit untersucht werden. Nur so besteht die Chance, eine sich entwickelnde Myopie zu bremsen oder sogar zu stoppen. Eine Kontrolluntersuchung ist deshalb empfehlenswert, weil Kinder den Scheindruck anders als Erwachsene einschätzen. Unschärfe wird einfach hingenommen. Eltern sollten weiterhin auf ein Zusammenkneifen der Augen, Unkonzentriertheit und schlechter werdende schulische Leistungen bei ihrem Kind achten. All dies können erste Anzeichen für eine beginnende Kurzsichtigkeit sein.

Quellen (englischsprachig)

Links zum Thema Myopiekontrolle:

https://ed8c1330-b58e-4135-bced-a6dc2aa92d4b.filesusr.com/ugd/daae8c_68237625d5104a6686376b9dc0f49c46.pdf
https://ed8c1330-b58e-4135-bced-a6dc2aa92d4b.filesusr.com/ugd/daae8c_ba7df10ab54d47eca5c0beb0fddbc0d2.pdf
https://www.who.int/blindness/causes/MyopiaReportforWeb.pdf?ua=1

Links zum Thema Myopiemanagement:

https://journals.lww.com/optvissci/Fulltext/2019/08000/A_3_year_Randomized_Clinical_Trial_of_MiSight.3.aspx
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/24315293/
https://www.myopiacare.org/
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4475749/

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