Familiäre exsudative Vitreoretinopathie

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Familiäre exsudative Vitreoretinopathie

Kategorien: Syndrome & AugenerkrankungenVeröffentlicht am: 29. Oktober 2022Von 5 min LesezeitAktualisiert: 6. Dezember 2023
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Inhaltsverzeichnis

familiaere exsudative vitreoretinopathie

Familiäre exsudative Vitreoretinopathie: Erbkrankheit mit starker Variabilität im klinischen Erscheinungsbild

Bei der familiären exsudativen Vitreoretinopathie (FEVR) handelt es sich um eine seltene angeborene Erkrankung der peripheren Netzhaut (Retina) und des Glaskörpers (Corpus vitreum). Die familiäre exsudative Vitreo-Retinopathie ist durch eine unvollständige Gefässbildung im temporalen Randbereich der Netzhaut (Retinaperipherie) charakterisiert. Aufgrund der fehlenden Blutgefässe kommt es in diesem Netzhautbereich zu einer Sauerstoffunterversorgung (Netzhautischämie), die wiederum in Abhängigkeit von der Grösse des avaskulären Areals zu verschiedenen visusbedrohenden Veränderungen an Retina und Glaskörper führt.

Ursachen der familiären exsudativen Vitreoretinopathie

Die familiäre exsudative Vitreoretinopathie (FEVR) ist auf Gen-Mutationen zurückzuführen, die in aller Regel vererbt werden. Die Vererbung des Syndroms erfolgt in den meisten Fällen autosomal-dominant. Daneben werden autosomal-rezessive sowie X-chromosomale Erbgänge beobachtet. Es werden aber vereinzelt auch Spontan-Mutationen ohne familiäre Häufung beschrieben.

Dabei kann eine Reihe von Genen von einer Mutation betroffen sein, die an der sogenannten WNT-Signalkaskade partizipieren. Diese ist für viele Vorgänge bei der Embryonalentwicklung, unter anderem der Bildung der Blutgefässe (Angiogenese), bedeutend. Mutationen an den korrespondierenden Genen können daher zu einer fehlerhaften Gefässentwicklung führen. Am bekanntesten ist das sogenannte Norrie-Gen, das neben der FEVR für eine Reihe von symptomähnlichen Erkrankungen wie dem Norrie-Syndrom und die Frühgeborenenretinopathie verantwortlich gezeichnet wird.

Symptome und klinische Zeichen einer FEVR

Die familiäre exsudative Vitreoretinopathie (FEVR) ist durch nicht durchblutete Areale in den äusseren, zu den Schläfen hin gelegenen Bereichen der Netzhaut des Auges (Avaskularität im temporalen Bereich der Retinaperipherie) gekennzeichnet. Je nach Grösse dieser avaskulären Areale zeigen sich typischerweise folgende sekundären Anzeichen:

  • Zur Kompensation der Unterversorgung in den avaskulären Bereichen bilden sich Gefässanomalien sowie neue Gefässe (Neovaskularisation).
  • Die neu gebildeten Gefässe sind hyperpermeabel, was zu Leckagen, Blutungen sowie Lipidablagerungen (intra- und subretinalen Exsudaten) führt.
  • Infolgedessen kommt es zudem zu hinteren Glaskörperabhebungen mit organisierten fibrovaskulären Membranen. Dies geht wiederum mit einer Netzhautverziehung nach temporal mit konsekutiver Makulaverlagerung (Heterotopie der Makula) einher.
  • Daneben entstehen in Abhängigkeit vom Ausmass der Exsudate Netzhautfalten bis hin zu komplexen Netzhautablösungen.

Da verschiedene Genmutationen an der Krankheitsentstehung des Syndroms beteiligt sind, kann das klinische Erscheinungsbild (bzw. die Krankheitsbilder) der FEVR sehr variabel sein. Bei vielen Betroffenen ist das Sehvermögen der Augen nicht beeinträchtigt, da sie dezente, lediglich angiographisch erkennbare avaskuläre Areale und Gefässveränderungen aufweisen. Die Mehrheit der symptomatischen FEVR-Betroffenen klagt bereits in einem frühen Alter über periphere Sehstörungen sowie Flashs oder Floaters (Glaskörpertrübungen). Gesichtsfeldausfälle sowie Russregen und Lichtblitze sind Anzeichen und Ausprägungen eines schweren Verlaufs mit Netzhautablösung.

Diagnose der familiären exsudativen Vitreoretinopathie

Die Diagnose der familiären exsudativen Vitreoretinopathie umfasst verschiedene Untersuchungen. So können im Rahmen einer Spiegelung des Augenhintergrunds (Funduskopie) die Gefässanomalien und -neubildungen, Einblutungen sowie Lipidablagerungen festgestellt werden. Die potenziell in jedem Erkrankungsstadium auftretenden Lipidablagerungen zeigen sich als gelbliche, intra- oder subretinale Exsudate im Bereich der pathologisch veränderten Gefässe.

Zur besseren Darstellung der Gefässe bietet sich eine Fluoreszenzangiographie an. Diese macht sowohl die avaskulären Areale sowie die teleangiektatischen und mikroaneurysmatischen Veränderungen der Gefässe im angrenzenden Retinabereich sichtbar. Diese enden zudem in multiplen arteriovenösen Anastomosen (Kurzschlussverbindungen zwischen Arteriolen und Venolen). Daneben zeigt ein Fluoreszenzangiogramm vorliegende Neovaskularisationen zwischen vaskularisierter und nichtvaskularisierter Netzhaut sowie mögliche Leckagen aus den pathologisch veränderten Gefässen.

Differentialdiagnosen bei FEVR

Die familiäre exsudative Vitreoretinopathie muss differentialdiagnostisch insbesondere von Erkrankungen abgegrenzt werden, die ebenfalls die peripheren retinalen Gefässe betreffen. Die wichtigsten sind:

Behandlung der familiären exsudativen Vitreoretinopathie

Bei asymptomatischen Verläufen der FEVR mit dezenten Gefässneubildungen und gering ausgeprägten avaskulären Arealen können zunächst regelmässige Kontroll- und Verlaufsuntersuchungen ohne weitere Behandlung genügen. Zeigen sich ausgeprägtere Symptome, insbesondere Exsudate, Gefässneubildungen sowie eine beginnende Netzhautablösung, kommt eine Laserkoagulation oder Kryokoagulation der pathologisch veränderten Gefässe infrage. Die Exsudate bilden sich nach dem Eingriff zurück, wobei grössere Exsudate mehrere Monate benötigen können.

Mit Fortschreiten der Erkrankung kann eine Vitrektomie (Glaskörperoperation) erforderlich werden. Indikationen sind unter anderem:

  • Netzhautablösung durch Zug mit (drohender) Makulaabhebung
  • Netzhautfalten (falziforme Netzhautablösung)
  • Glaskörpereinblutung, die nicht mit Laserkoagulation behandelt werden kann
  • zwiebelschalenartige Glaskörpersegel mit Beeinträchtigung der zentralen Sehschärfe
  • proliferative Vitreoretinopathie

Prognose der familiären exsudativen Vitreoretinopathie

Da sich die familiäre exsudative Vitreoretinopathie aufgrund unterschiedlicher Genmutationen entwickelt und ein sehr variables klinisches Bild aufzeigt, ist eine allgemeingültige Prognose schwierig. So existieren einerseits asymptomatische Genträger mit minimaler Ausprägung, die nicht behandlungsbedürftig sind. Andererseits werden schwere Formen beobachtet, die zum Visusverlust führen können. In aller Regel weist die Erkrankung eine Progredienz auf, weshalb lebenslange Verlaufskontrollen erforderlich sind.

Für einige Formen der familiären exsudativen Vitreoretinopathie sind die krankheitsverursachenden Genmutationen mittlerweile lokalisiert. Zu diesen gehört beispielsweise eine Mutation auf dem Frizzled-4-Gen für die autosomal-dominante familiäre exsudative Vitreoretinopathie (adEVR). Hier können Mutationsträger unter den Familienangehörigen mittels DNA-Analyse bestimmt und frühzeitig durch regelmässige Untersuchungen kontrolliert und gegebenenfalls therapiert werden.

Zusammenfassung

Die familiäre exsudative Vitreoretinopathie ist eine zumeist autosomal-dominant vererbte Netzhaut- und Glaskörpererkrankung. Sie ist durch eine temporal avaskuläre Netzhaut mit Gefässanomalien sowie einem temporal verzogenen Gefässbaum mit Makulaverlagerung charakterisiert. Die FEVR zeigt ein sehr variables klinisches Erscheinungsbild von asymptomatischen Verläufen bis hin zu schweren Formen mit Visusverlust durch Netzhautablösungen. Vorliegende Exsudate stellen bei jeder Form und in jedem Stadium eine Behandlungsindikation dar.

Quellen

  • https://eyewiki.aao.org/Familial_Exudative_Vitreoretinopathy_(FEVR)
  • Finis, D., Stammen, J. & Joussen, A (2010): Familiäre exsudative Vitreoretinopathie. In: Ophthalmologe 107, S. 683–693.
  • Schaub, F., Enders, P. & Fauser, S. (2018): Lasertherapie in der Augenheilkunde – ein Update. In: Augenheilkunde up2date 8 (2), S. 155–170.
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